Abay + Razz live in Wiesbaden | Konzertbericht

Konzertbericht zu Abay und Razz im Schlachthof Wiesbaden | Doppel-Headline-Tour! Die atemberaubend guten Abay haben sich diesen Herbst mit den durchstartenden Indie-Grünschnäbeln Razz zusammengeschlossen, um die Hallen der Republik zu verzaubern. So war es am Halloween-Mittwoch live in Wiesbaden.

Anlass:

Um den Grund dieser Tour zu verstehen, muss eine kurze Zeitreise zum Pure & Crafted Festival 2017 unternommen werden. Auf jener bizarren Veranstaltung spielen die gestandenen Abay gleichzeitig zu den gerade erst durchstartenden Razz. Alles kein Problem, wäre nicht deren Two-Door-Cinema-Club-Indie derartig laut, dass Abay auf der anderen Bühne ihre Show nur verkürzt darbieten können. Es folgt ein Social-Media-Beef irgendwo zwischen Ernst und Ironie und einige Monate später versöhnen sich die beiden Truppen. Aber nicht nur das, die beiden Gitarren-Bands kommen sich scheinbar derart nahe, dass sie letztlich zusammen auf Tour gehen. Sei es aus musikalischen, freundschaftlichen oder finanziellen Gründen – egal. Für etwa zehn Dates können sich Musikliebhaber auf zwei nicht unbedingt ähnliche, aber gleichermaßen spannende Leckerbissen freuen.

Venue:

So auch im legendären Wiesbadener Schlachthof, der nach einem kurzen Kältemarsch vom Bahnhof schnell erreicht ist. Sofort fällt auf: Der Parkplatz ist schon fast voll. Und vor der Venue bildet sich gar vor Einlass schon eine beachtliche Schlange. Aber falsch gedacht. Die Welt wäre auch ein bisschen zu schön, wenn die Querbeet-Masse vor dem Schlachthof sich die Indie-Truppen Abay und Razz geben würde, und nicht stattdessen zu JORIS gehen würde. Joris, really? Herz über Kopf und so? Ach, egal. Im kleinen Kesselhaus ist es auch dank des üppigen Apfelwein sowieso viel gemütlicher.

Dramaturgie:

Schon im Vorfeld gibt’s die erste Überraschung. Nach dem Support-Set sollen zuerst Abay und erst später Razz die Bühne betreten. Ob das so gut geht? So langsam füllt sich der Raum auf jeden Fall während des unterhaltsamen Sets des Rock’n’Roll-Duos The Polish Club, die vor allem lautstärketechnisch gut vorlegen. Kurz danach ist Umbau und die Nebelmaschine macht eifrig ihren Job. Um bereits 20:15 betreten Aydo Abay und seine drei Jungs die Stage und rocken mit „Stop the fever“ und „I am the believer“ mit ihren zwei straightesten Songs los. In der Folge mischen sich Tracks aus dem Debütalbum mit solchen aus dem Zweitling ab. Mit „Signs“, „Different beds“ und dem starken „Gumo“ wird es immer epischer, ehe „1997 (Exit A)“ die Leichtigkeit zurück bringt. Eingeleitet vom fantastischen Massive-Attack-Cover „Paradise circus“ gestaltet sich auch der Schluss wieder als bombastisch. „Rhapsody in red“ zelebriert vor allem seinen abgefahrenen Instrumental-Teil, bevor „In transit“ das Motto „Love and distortion“ in aller Dynamik darlegt. Nach einer intensiven, knappen Stunde ist Schluss – und die Bühne frei für Razz, die nach einer derartigen Power eigentlich eine undankbare Aufgabe haben. Trotzdem gelingt es den Eisländer Jungs das Publikum mitzureißen mit einem Mix aus alten und neuen Tracks. Nach dem auch live tollen „Another head, another mind“ wird besonders am Ende das Tempo angezogen mit dem mächtigen „Postlude“ und dem krönenden Abschluss „Youth & enjoyment“.

Publikum:

Jung bis durchmischt. Schnell stellt sich heraus, dass der größere oder zumindest der lautere Teil der Masse wegen Razz da ist. Während Abay ihre Power-Party darbieten, gibt es nur vereinzeltes, dafür aber umso intensiveres Headbanging-Tanzen. Vielleicht sind die eher Uneingeweihten auch aufgrund der Intensität komplett beeindruckt und stehen mit mental offenem Mund da? Man weiß es nicht. Zu Razz bildet sich hingegen eine tanzende und freundlich pogende Traube in der Mitte des Saals. Die etwas weniger junge Generation, die vermutlich den Namen Blackmail schon mal gehört hat, lehnt lässig an der Raumwand und beäugt das Spektakel mit etwas Sicherheitsabstand. Und was ist eigentlich mit Halloween? Nur eine kleinere, jüngere Truppe hat sich leicht kostümiert.

SpecialFX:

Hier zeigt sich wohl der größte Unterschied der beiden Bands, der letztlich den im Tour-Namen angeschnittenen Battle klar entscheidet. Abay fackeln ein Blitzlicht-Feuerwerk ab und imponieren mit intensivem Spiel – vor allem von Schlagzeuger und gebürtigem Mainzer Jusch, für den die Show in gewisser Weise ein Heimspiel ist. Vorne hüpfen Aydo im FCK-NZS-Shirt und Dennis am Bass wild herum, während sich Jonas auf die Technik konzentriert. Ganz famos sind dabei die dramaturgischen Übergänge, insbesondere von „Different beds“ zu Album-Highlight „Gumo“, welches auch auf der Bühne ein Spektakel ist. Razz spielen hingegen in jeglicher Hinsicht grundsolide – ohne das jetzt arg negativ zu meinen. Die Jungs haben sich die Kritikpunkte der ersten Tour zu Herz genommen und schmücken Tracks wie „Black feathers“ und „Postlude“ mit einigen Impros ein wenig aus. Ansonsten fehlen der sehr gleichmäßigen Musik ein wenig die Peaks, die Höhepunkte, wie es zum Beispiel das Ende von „Broken gold“ mal vormacht.

Sound:

Razz klingen fast wie auf Platte, wofür man sich insbesondere erneut vor Sänger Niklas verbeugen muss, der seine Reibeisen-Stimme beeindruckend vorträgt. Auch spannend ist, wie Gitarrist Christian immer wieder punktgenau seine pointierten Solo-Noten einbringt und vom Reverb und Delay perfekt verlängern lässt. Bei Abay ist hingegen einen größeren Unterschied im Vergleich zur Platte zu erkennen. Aydos markante Stimme tönt live ähnlich charakteristisch und behauptet sich auch im deutlich druckvolleren Live-Mix. Eher ruhige Tracks wie „Signs“ und „Plastic“ leben auf der Bühne von einem verstärkten Bass, an dem sich Dennis mit tollen Linien in den Vordergrund spielt. Instrumental großartig ist das Zwischenspiel von „Different beds“, in dem Jonas atemberaubend zeigt, was man aus einer einzigen Gitarre rausholen kann.

Ansagen:

Viel wird an diesem Abend aufgrund der tighten Schedule nicht geredet. Razz bringen ein paar Klassiker-Konzertsprüche über die Lippen, und Aydo lässt sich außer einem dezenten Seitenhieb in Richtung große Halle wenig entlocken. Dieser gerät dafür umso amüsanter. Er habe schon so viele Karma-Punkte verloren, weil er den ganzen Tag bereits gegen Joris haten würde, sagt Aydo und fügt hinzu, dass er nicht verstehen kann, wie da so viele Leute hingehen. Und dass Joris abhauen kann. Und wie froh doch alle anwesenden Musiker sind, dass sich im Kesselhaus immerhin ein beachtliches Publikum zusammengefunden hat. Schöne Aussage. Wird hiermit einmal unterschrieben.

Moment des Abends:

Wie kann man als Band bitte einen Song wie „The queen is dead“ jeden Abend spielen, ohne dass dabei das Herz vor Emotion in tausende Splitter zerspringt? Die heftige Dramatik, die dieses phänomenale Stück versprüht, beginnt bereits mit den zerbrechlichen Klavier-Tönen zu Beginn, über die Aydo auch live fast flüstert. Wenn dann aber der massive Ausbruch ansteht, entlädt sich einfach alles. Gänsehaut überrennt den gesamten Körper und das Stroboskop verbunden mit dem gesammelten, musikalischen Druck sorgen für ein wahnsinniges Erlebnis. Heute immer noch vollkommen fertig davon. Im Kopf und im Nacken.

Und sonst so?

Zum Support-Set von The Polish Club putzt am Bühnenrand irgendjemand (vermutlich Christian von Razz) erstmal Zähne – das ist das Tour-Life. Außerdem lerne ich während des Albums, dass sich Abay eigentlich ABAAAIII ausspricht und nicht wie von mir angenommen „A bay“, wie eine Bucht. Kommt nicht nur während des Konzerts raus sondern auch durch ein kurzes Gespräch mit Aydo („eeey, dich kenn ich doch aus dem Internet“). In diesem Sinne, sorry! Hab jetzt ja auch nur ungefähr 300 Leuten im Internet was Falsches erzählt. Facepalm. Trotzdem danke, dass ihr mich noch lieb habt.

Gut getroffen:

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First concert in a while #ABAY #Wiesbaden

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Die Abay vs. Razz Tour ist fast vorbei – hoffentlich gehen die Bands aber (vielleicht dann einzeln) nächstes Jahr wieder auf Tour, sodass ihr auch in den Genuss eines Konzerts kommen könnt.

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