Review zu „Neintology“ von Adam Angst | Nach ihrem Überflieger-Debüt aus 2015 sind Adam Angst im Jahr 2018 mit „Neintology“ zurück. Warum auch nicht – es gibt ja immer noch mindestens genauso viele Themen, über die man sich gelinde gesagt abf*cken kann, wenn nicht gar mehr. Ein tolles, variables Punkrock-Album.
Adam Angst? Wer war das gleich nochmal?
Eine Truppe aus dem Punk-Kosmos, die vor etwa drei Jahren mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum ordentlich Staub aufgewuselt hat. Die bereits dritte Band von Sänger Felix Schönfuss ist im Vergleich zu seinen Vorgängerbands Escapado und Frau Potz die wohl direkteste und scharfzüngigste Ausführung. Komplettiert von David, Roman, Christian und Johannes verzückten Adam Angst 2015 vor allem mit ihren scharfen Beobachtungen, die wundervoll in Musik und starke Videos gepackt wurden – „Professoren“ und „Splitter von Granaten“ sind da die bekanntesten Kracher. Nun hat das Quintett den Nachfolger namens „Neintology“ aufgenommen, bei dem insbesondere eine Sache fasziniert. Es ist das erste Mal, dass der in der Mitte des Albumcovers thronende Felix eine zweite Platte mit der gleichen Band aufnimmt. Kann der Gute inzwischen wahrscheinlich auch nicht mehr hören, den Satz, aber nun gut.
Wie verhält sich „Neintology“ im Vergleich zum Debütalbum?
Am messerscharfen, teils dystopischen und häufig ironischen Stil von Adam Angst ändert auch „Neintology“ herzlich wenig. Warum auch – es gibt ja im Jahre 2018 immer noch mindestens genauso viele Themen, über die man sich gelinde gesagt abfucken kann, wenn nicht gar mehr. Einzig werden die Stücke ein wenig variabler und nur selten aggresiv wütend wie auf dem Debüt dargeboten. So jubeln Adam Angst „Alle sprechen deutsch“ nicht nur einen Polka-Rhythmus sondern auch traditionelle Instrumente wie eine spanische Gitarre oder eine Trompete unter. „Damit ich schlafen kann“ kommt auffallend ruhig daher, wohingegen nicht nur die mächtige Vorab-Single „Alexa“ sondern auch das tolle „Alphatier“ ein dramatisches Klavier im Hintergrund spendiert bekommt. Sehr straighte Stücke ohne derartigen Spielereien sind hingegen das wilde „Kriegsgebiet“, „D.I.N.N.“ und auch Quasi-Opener „Punk“ – wobei die hier dargebotene Vier-Akkord-Harmonie eher jenes Genre ironisch auf den Arm nimmt. Gleichzeitig textet Felix über die Realness-Polizei einer Musikrichtung, die sich irgendwie mal neu erfinden müsste.
Wer kriegt’s denn noch in den Texten ab?
Der braune Abfall wird eindrücklich im abschließenden „Physik“ in seine Einzelteile zerlegt. Auch das vorgehende „D.I.N.N.“ (dich immer Nazi nennen) macht klar, dass gleiches Gedankengut in anderer Verkleidung nichts verändert. Expliziet Zeilen „Gleiche Scheiße, neue Namen, eskortiert vom Streifenwagen“sprechen da ihr Übriges. In „Blase aus Beton“ erklären Adam Angst hingegen nicht nur angehenden Irgendwas-mit-Medien-Erstis die Gefahr von Filterblasen bzw. Echokammern. „Alphatier“ thematisiert vollkommen überfällige Geschlechter-Schubladen und „Damit ich schlafen kann“ beschäftigt sich mit dem etwas persönlicherem Thema Depression. Mit „Immer noch“ und „Alexa“ entwirft die Band außerdem zwei Zukunfts-Dystopien, die in gewohnt markanter, scharfer Weise kommentiert und aufgemalt werden. Wunderbar ist dabei, dass die Texte niemals lehrerhaft den Zeigefinger heben, sondern durch detaillierte Beschreibungen bestimmte Deutungen schön in den Raum werfen.
Was sind die großen Momente?
Immer wieder scheinen auf „Neintology“ kleine Augenblicke durch, die an die Großtaten eines Farin Urlaubs erinnern – was in jeglicher Weise als Kompliment gemeint ist. Einen Track wie „Blase aus Beton“, der zunächst kompromisslos losrockt und im Refrain eine Ohrwurm-Melodie sowie markante, weitere Gesangsstimmen verbindet, würde der Berliner Blondschopf auch gerne mal wieder schreiben. Wenn hingegen die düstere Gitarre im dunklen „Alphatier“ richtig Fahrt aufnimmt, kann ein direkter Vergleich zum apokalyptischen, zweiten Urlaub-Soloalbum „Am Ende der Sonne“ gezogen werden. Nur, dass „Neintology“ einen deutlich druckvolleren Sound und mehr Abwechslung bietet. Groß ist auch, wie die anfangs umstrittene Vorab-Single „Alexa“ in der zweiten Strophe einen anderen Weg geht, und die Dramatik mit einer Spur Epik verschwinden lässt. Als gesamtes Stück verdient das mutige „Damit ich schlafen kann“ Hochachtung. Nicht nur wegen des schwierigen Themas sondern auch wegen äußerst gelungener Melodien und einem tollen Zusammenspiel der Instrumente verbreitet der Mid-Tempo-Track schaurige Gänsehaut.
Wann sollte ich die Platte auflegen?
„Neintology“ gelingt es seine Hörer nachdenklich zu machen, hält aber gleichzeitig auch den Unterhaltungswert hoch. So kann man sich mit den 32 kurzweiligen Minuten eigentlich ganz gut selbst beschäftigen. Sei es, um über die aufgeworfenen Bilder nachzudenken, in die dystopischen Weltbilder einzutauchen, die Sprachgewandtheit zu bewundern oder sich mit dem kreativen Songwriting sowie den abwechslungsreichen Klängen zu beschäftigen. Vielleicht passt „Neintology“ daher gut auf die Kopfhörer, zwischen all den Menschen in der Straßenbahn, die auch in der beschriebenen Welt leben, um die man sich spätestens jetzt ein bisschen Sorgen machen sollte. Die Platte legt diese Stimmung ohne dabei in die komplette Apokalpyse zu rutschen erstaunlich detailliert dar – und hilft damit auch ein wenig bei der Bewältigung all dieser Sorgen und ermuntert jedes Individuum den besungegen Zuständen selber entgegenzuwirken.
Kopfhörer auf, Volume hochdrehen und „Neintology“ von Adam Angst auflegen:
Die vorbildhafte Live-Band könnt ihr hier in der nächsten Zeit auf der Bühne erleben:
30.09. Bonn, BLA (Release Show – Tickets nur zu gewinnen)
15.11. Wiesbaden, Kesselhaus (ausverkauft)
16.11. A – Wien, Arena (hochverlegt)
17.11. München, Backstage (hochverlegt)
18.11. CH – Zürich, Dynamo21
20.11. Köln, Die Kantine (neue Location!)
21.11. Hannover, Musikzentrum
22.11. Münster, Sputnikhalle (hochverlegt)
23.11. Bremen, Schlachthof (hochverlegt)
24.11. Hamburg, Uebel & Gefährlich (hochverlegt)
25.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg (hochverlegt)
22.02. Dresden, Beatpol
23.02. Leipzig, Conne Island
24.02. Frankfurt, Das Bett
01.03. Stuttgart, Im Wizemann
02.03. Osnabrück, Kleine Freiheit
03.03. Dortmund, FZW Club