Die Finals des Jahres

Das Beste kommt zum Schluss, sagte einst eine sehr weise Person. In diesen Tracks aus 2017 ist jenes Sprichwort aber tatsächlich Tatsache. that new music blog präsentiert 10 Stücke, die gegen Ende des Songs so richtig ausrasten.

10. All We Are – Punch

Richtungswechsel war die Ansage im Vorlauf der zweiten Platter von All We Are. Nach dem smoothen Indie-Funk-Gedance des Debüts hat das Trio für „Sunny hills“ jegliche Regler über den Anschlag hinaus gedreht. Die Platte kracht und dröhnt nur so aus den Boxen und sorgt damit regelmäßig für intensive Steigerungsmomente wie im Closer „Punch“. Jenes beginnt bedrückend ruhig – man vermutet eher Daughter – und mausert sich durch kreischendes Gitarrenfeedback zum großen Schlussteil, in dem sich Sängerin Guro Giklo nahezu die Stimme ruiniert. Ups. Hat sich aber gelohnt.

9. Liam Gallagher – I’ve all I need

Ach Liam. Mit ein bisschen Geschummel habe ich dich auch noch in diese Liste gehieft. Dabei haben wenige Tracks es dieses Jahr mehr verdient all das überragende „I’ve all I need“ – vielleicht das beste Stück was die britische Skandalnudel jemals geschrieben hat. Der Song (übrigens schon wieder ein Albumcloser) ist zwar ähnlich wie alte Oasis-Großtaten ganz einfach strukturiert, wird aber spätestens ab dem Gitarrensolo himmlisch. Nach zwei Refrains ertönt ein instrumentales Interlude, ehe eben jenes Gitarrenspiel das Ende einleitet. Simpler Aufbau, berührendes Ende. Well done, f*cker!

8. Abay – Paradise circus

Ganz persönlich gesprochen sind Abay für mich vielleicht DIE Entdeckung des Jahres, obwohl die Band um die deutsche Indie-Legende Aydo Abay gar kein richtiges Album rausgebracht. Der letzte Langspieler –über dessen Besonderheit ich mich hier ausgelassen habe – ist nämlich bereits 2016 erschienen. Dafür überzeugte das emsige Duo mit einer überaus spannenden Cover-EP. Auf „Conversions Vol. I“ sammelten Abay und sein musikalischer Partner Jonas Pfetzing u.a. Neuinterpretationen von Abba, The XX und Scooter – und das intensive Massive-Attack-Cover „Paradise circus“. Ganz ruhig und in der epischen Abay-Manier baut sich das Stück auf, um am Ende im Fuzz-Gitarrengewitter einen schönen Tod zu sterben.

7. Belgrad – Westen

Wie immer ist die angegebene Kategorie „Die Finals des Jahres“ zugegebenermaßen nicht so richtig trennscharf. Wie lange darf ein Schlussteil dauern? Und wann ist es überhaupt ein Schlussteil? Egal. Fakt ist, dass die zweite Hälfte aus „Westen“ von Belgrad absolute Sahne ist. Generell besticht das Debütalbum des Projekts gestandener deutscher Punk-Musiker durch seine ausufernden Tracks und deren Dynamikschüben. „Westen“ startet dabei mit einem Beat, der in elektronischer Post-Punk-Instrumentierung vorangetrieben wird. In der Mitte des Songs kommt es jedoch zum Breakdown und ein großartiges Gitarrenriff leider den zweiten, etwas helleren Teil ein. Starker Moment!

6. Leoniden – Sisters

Wenn es auf der wilden Leoniden-Platte eine wiederkehrende Sache gibt, dann sind dies die immer wieder auftretenden C-Teile. Gegen Ende nehmen die vielen Hits der Scheibe gerne einen anderen Abzweig und kommen nicht wieder zur vorher eingeführten Hook zurück. Auffällig gut funktioniert das in der letzten Single „Sisters“, die sich zunächst von einem Klavier begleitet gemütlich voran groovt. Nach dem zweiten Refrain haben die Kieler Jungs dann genug von der Harmonie und legen richtig los. Der Discobeat wird intensiviert, ein dickes Pad wird addiert und der charakteristische Mädchenchor kommt wieder in den Vordergrund. YEES.

5. The Regrettes – Pale skin

Für The Regrettes geht es in jungen Jahren steil nach oben. Ihr fetziges Indie-Punk-Debüt wurde am Anfang des Jahre auf einem Major veröffentlicht, da war Sängerin Lydia Night noch nicht mal volljährig (weder in Deutschland noch in der amerikanischen Heimat). „Feel your feelings fool“ bietet dabei größtenteils locker flockige, leicht todproduzierte aber stets hitverdächtige drei-Minuten-Kracher und hört sich damit problemlos und unaufregt weg. Einziger Ausreißer ist dabei das geniale „Pale skin“, welches fünf Minuten lang mit aggressiver Stimmung und reibenden Gitarren imponiert. Besonders die dynamisch aufgeladene letzte Minute sticht dabei heraus und bleibt von dieser angenehmen Entdeckung am ehesten hängen.

4. Lisa Who – Das Rauschen in mir

Mit „Das Rauschen in mir“ ist der als Madsen-Keboarderin bekannt gewordenen Lisa Who ein Monstrum gelungen. Fast zehn Minuten nimmt sich dieses Epos Zeit, um die Berliner Musikerin zu den traumhaftesten Tönen auf dem voll und ganz überzeugenden Debüt „Sehnsucht“ zu bringen. Ein langes Instrumental-Intro weckt mit Gruß an Gilmour und Waters das Prog-Monster langsam auf, die Strophe zieht schön durch die Lüfte, bevor ein schnellerer Part die Dynamik vollkommen verändert. Nachdem das Stück wieder in schleppendere Rhythmen zurückfällt, folgt das alles übertreffende Highlight. Lisa lässt die Lyrics weg und singt sich in langen Tönen die sprichwörtliche Seele aus dem Hals, ähnlich wie es ein gewisser Thom Yorke auf dem später zum unsäglichen Hit gewordenen „Creep“ tat. Eine weitere Parallele zu jenem Radiohead-Klassiker sind die sanften letzten Sekunden, die dem Track einen wunderschönen Rahmen verpassen.

3. Starsailor – Fallout

Die erste Überraschung, die sich bezüglich Starsailor dieses Jahr den meisten Fans bot war wohl, dass die Band überhaupt noch existiert. Kein Wunder, sind die richtig großen Zeiten der Britpopper doch schon lange her und auch das letzte Lebenszeichen namens „All the plans“ weit über fünf Jahre alt. Doch auf die erste Überraschung – das neue Album „All this life“ – folgte sogleich die zweite: Die Platte ist auch noch richtig gut. Besonders stechen dabei jedoch nicht die eingängigen Singles heraus sondern die vielen epischen Hymnen, die natürlich vor fulminanten Showdowns nur so trotzen. Ein nachhaltig beeindruckendes Beispiel ist „Fallout“, welches von Beginn an mit Bond-Streichern versehen ist. Diese werden während des 6-Minuten-Tracks immer dominanter, ehe sie sich im letzten Drittel eine wilde Schlacht mit einer schneidenden Fuzz-Gitarre liefern. Apocalypse now! Das Feuer lodert. Was soll danach noch kommen?

2. Protomartyr – Half sister

Wie geil kann man eine Gitarre abmischen? Eine der vielen Gründe, wieso die neue Platte des Post-Punk-Vierers Protomartyr ein echter Abräumer ist, ist definitiv das absolut überzeugende Soundmixing. Obwohl auf „Relatives in descent“ meistens nicht mehr als zwei Gitarrenspuren konkurrieren, übernimmt der Sechs-Saiter neben Joe Caseys eindringlichem Gesang die kreative Hauptrolle. Eine umwerfende Soundwall hat das Quartett dabei für die letzten zwei Minuten der Platte aufgehoben. Das ohnehin schon göttliche „Half sister“ setzt im Abschussdrittel zur Großtat an. Erst wird der Ausbruch geschickt von einem parallelen Bass- und Gitarrenriff herausgezögert, bevor letztere den Verzerrer an die Grenze des guten Geschmacks aufdreht und dem Bass die Melodie überlässt. Gänsehaut, wenn Joe Casey dazu vorträgt: „Truth is the half sister / that will not forgive“. Und Gänsehaut auf der Gänsehaut, wenn er mit „She’s trying to reach you“ auf den ebenfalls genialen Albumopener „A private understanding“ Bezug nimmt und die Instrumente langsam wieder ruhiger werden und traumhafte Melodien spielen.

1. Keele – Grauwal

Wiederholungstäter! Nachdem die sympathischen Jungs von Keele schon bei den Krachern des Jahres in die TOP 5 gesprungen sind, sichern sich die Nordlichter hier mit ihrem Albumcloser den wohlverdienten Sieg. Das phänomenale „Grauwal“ handelt vom Nicht-Ankommen und setzt dabei von Beginn auf treibende, leicht melancholisch angehauchte Gitarren, die nach zwei Refrains endgültig großes vorhaben. Eine Minute Emo, Post-Rock und Post-Hardcore: Ein Gewitter der Gefühle, während dem sich der Gesang vollkommen versteckt. Eine simple, wehleidige Gitarrenlinie wird mehrere Male wiederholt, während Dynamik und Epik ins Unermessliche steigen und schließlich in wilden Standtoms ihr feines Ende finden. DRAMATIK!

Hört hier das Spektakel. Und nicht vergessen, Songs immer bis zum Ende anlassen. Höhö.

Schreibe einen Kommentar