In Frankreichs Indie-Szene geht was. Das beweisen seit einigen Jahren mehrere Truppen, die sich vor allem national in die Herzen der Musikbegeisterten spielen. In La Rochelle treffen sich an jenem Abend gleich zwei aufstrebende Sternchen des Indie-Himmels. Das Marseiller Elektro-Pop-Duo Kid Francescoli (hier vorgestellt) sowohl die viel gelobten HER stehen live auf der Bühne der La Sirène. Der Konzertbericht sagt euch wie es war.
Ouverture:
Bevor sich Kid Francescoli und Her austoben, darf erst mal eine ebenso junge Band ran. Concrete Knives aus der Normandie eröffnen den Donnerstag Abend im großen und vor allem sehr hohen Raum der La Sirène. Die Truppe legt sich körperlich ordentlich ins Zeug und profitiert von einem glasklaren Sound und einer – für den Konzertopener – ausgefeilten Lichtshow. Klanglich liegen die Franzosen irgendwo zwischen dem Konfetti-Indie von MGMT und der etwas verrückten Alternative-Pop-Kombo Mother Mother. Dynamische Eröffnung einer Band, die man zumindest im Augenwinkel behalten sollte.
Dramaturgie:
Die Fortsetzung des Abends beginnt sanft und ohne Percussion mit „Come online“ von Kid Francescoli und endet mit Her’s Instrumental-Gewitter-Outro von „Quite like“. Auf dem langen Weg dazwischen laden Mathieu und Julia von Kid Francesoli ihren Live-Drummer auf die Bühne und ziehen allmählich das Tempo an. In der ersten Hälfte spielt das Duo vor allem neue Tracks wie „Les vitrines“ oder das auch live groovende „Bad girls“. Mit dem etwas älteren Hit „Blow up“ leitet das Paar schließlich den instrumentaleren Schlussteil ein. Her nehmen schließlich daraufhin zunächst ein wenig das Tempo raus, beschleunigen letztlich aber auch früh mit der neuen Single „Neighborhood“, dem Titeltrack „Her“ und dem fantastischen „Blossom roses“.
Publikum:
Eine relativ junge Ansammlung Menschen füllt die knappe 1000er-Location immerhin zur Hälfte. Eine Gruppe gerade vom Flohmarkt zurückgekommener Hipster tanzt nach dem ersten Snap ausgiebig – ansonsten wird ein wenig geredet und viel für sich selbst gegroovt. Bis Victor Solf und seine Kompagnons von Her die Bühne betreten. Einzig auf der fantastischen Stimme des Franzosen beruhend, startet die Band ihr Set mit „We choose“. Das Publikum hält den Atem an und lauscht dem großen Mann im Anzug, der alleine im Spotlight steht. Die theatralischen Gestiken erschaffen für einen Moment etwas Unheimliches – irgendwo zwischen Gospel und Sekte – ehe die gesamte Band einsteigt und sich die Stimmung im Saal wieder auflockert.
Sound:
Ist über den ganzen Abend hinweg absolut einwandfrei. Die drei Truppen erklingen druckvoll und doch klar definiert und der Gesang findet immer wieder seinen klaren Weg in den Vordergrund. Respekt!
Gut getroffen #1
SpecialFX:
Während Her und Concrete Knives die volle, klassische Lichtmontur ausnutzen, präsentieren sich Kid Francescoli etwas minimalistischer – was wiederum zur etwas weniger pompösen Musik passt. Zu ihrem treibenden und doch träumerischen Elektro-Pop blitzen gelbliche Lichtstäbe im Takt. Einzig wenn Mathieu Hocine an der Keyboard-Maschine die Songs in die Länge zieht, setzt das Live-Trio wildere Lichter ein. Absehen davon glänzt vor allem das kesse und geschmackvolle grüne Outfit von Sängerin Julia, deren kleine und etwas unbeholfene Tanzeinlagen ein Lächeln dem ganzen Raum ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Sympathisch!
Auf der Bühne:
Bei numerisch etwas größeren Bands bleibt dem Zuschauer häufig ein Musiker oder eine Musikerin besonders im Gedächtnis. Bei Her war dies gewöhnlich der markante Bassist Thomas, der mit seinen smoothen Moves und charmanten Ausrastern ein absoluter Hingucker war. Nicht aber an diesem Abend, an dem sich Her als fast komplett neu aufgestellte Band präsentierte. Einzig der Drummer gehörte im letzten Sommer bereits zur Besetzung. Im Laufe des Konzerts erklärt Sänger Victor, dass die Truppe bereits seit mehreren Tagen in der Sirène ist und die Produktion für die Tour entwickelt. So ist es vermutlich die erste Show für die Musiker an seiner Seite. Und selbst wenn diese einen ordentlichen und engagierten Job machen, zeigt sich dem Musikromantiker hier mal wieder die Business-Seite des Major-Lebens. Die gute Nachricht: Der ehemalige Bassist Thomas scheint sich in seinem Projekt BLOW auszutoben.
Lacher:
Gibt es an diesem Abend mit Ausnahme des grinsenden Mathieu Hocine wenig. Einzig der musikalische Kopf von Kid Francescoli freut sich dauerhaft über vereinzelte euphorische Aktionen und Zurufe aus der Masse. Insbesondere bei Her kann als einziger Makel der verkrampfte Perfektionismus herangezogen werden. Das Set ist letzten Endes ein kleines Stück zu perfekt, an einigen Momenten trotz der musikalischen Intensität gar klinisch. Der ein oder andere ungeplante „awkward moment“ hätte die Chose ein wenig natürlicher erscheinen lassen können.
Moment des Abends:
Besonders gegen Ende der Sets überzeugen die jeweiligen Acts mit ihren jeweiligen Hits. Kid Francescoli lassen mit ihrem ausgiebigen Instrumental-Banger „Moon“ die Masse beben, wohingegen Her ihr emotionales „Five minutes“ auf die zunächst letzte Position der Setlist setzen. Wie häufig während des Konzerts verlängern die Jungs jenen Track und verpassen ihm im Schlussteil einen feinen Disco-Rhythmus. Noch intensiver wird es jedoch bei der zweiten Zugabe „Quite like“, welches Her ebenfalls in die Länge ziehen und im Instrumental-Gewitter untergehen lassen. Diese und einige weitere Instrumental-Jams zeigen die wahre musikalische Qualität der Truppe und machen letztlich den feinen Unterschied zur Studioversion aus.
Und sonst so?
Während des Konzerts thematisiert Victor nur an einer Stelle die tragische Geschichte seines ehemaligen Kompagnons und trifft dabei genau das richtige Maß. Dem jung verstorbenen Simon widmet er „Swim“, welches für einen schönen Moment sorgt, gleichzeitig das medial ein wenig überstrapazierte Thema nicht künstlich in den Vordergrund stellt.
Gut getroffen #2
Während Kid Francescoli leider gerade erst in Deutschland waren, machen sich Her nach ihrem Album-Release am 30.3. (hierzu hören wir uns wieder) auf Tour. Hier die Dates.