Loyle Carner – Not waving, but drowning (LP) | Review

Review zum Album „Not waving, but drowning“ von Loyle Carner | Der Darling des gepflegten Hip-Hops ist zurück. Loyle Carner lässt seinem großartigen Debüt das verträumte „Not waving, but drowning“ folgen, welches sich noch mehr entspannten, jazzig groovenden Beats verschreibt.

Loyle Carner? Wer war das noch gleich?

Der junge Mann, der vor zwei Jahren eine gänzlich gegensätzliche Entwicklung im britischen Hip-Hop auf die Platte gebracht hat. Während sich an allen Enden Rapper und Rapperinnen mit den krassesten Modellierungs-Erffekten battlen und sich dabei immer mehr von „echten Tönen“ entfernen, setzt Loyle Carner auf organische Instrumente und Beats, die genauso gut ein Soul-Album der 60er untermalen könnten. Vermischt mit herzergreifenden Melancholie-Texten über die schwierige Kindheit und das Verhältnis zu seinem Vater war das Album gewordene Ergebnis „Yesterday’s gone“ unbestritten eines der Alben des Jahres 2017 und für mich persönlich vielleicht die schönste Hip-Hop-Platte überhaupt. Viel höher könnte die Latte also nicht liegen, an der sich nun „Not waving, but drowning“ misst.

Was hat sich verändert im Vergleich zum Debüt?

Schon der besonnene Beginn mit „Dear Jean“ zeigt, dass Loyle Carner es auf seiner zweiten Platte noch ein bisschen bedächtiger und smoother angehen lässt. An keiner Stelle wird die Intensität eines „Ain’t nothing changed“ erreicht, vielmehr stehen die neuen Songs in einer Reihe mit „Damselfly“ und „Florence“. So kommt es, dass der mörderische Bläser-Einsatz von „You don’t know“ an fünfter Stelle zum ersten Mal etwas dynamischeren Drive versprüht. Insgesamt steht das E-Piano oder gar das Klavier stärker im Vordergrund und begleitet zurückhaltende Stücke wie „Krispy“ oder „Carluccio“. Analog zum ersten Album gibt es auch auf „Not waving, but drowning“ wieder Sprachfetzen (z.B. „England Penalty Shootout“) und sorgfältig ausgewählte Features. Tom Misch begleitet mit seinem hellen Stimmchen das blubbernde „Angel“, während Neo-Soul-Star Jordan Rakei dem fantastischen „Ottolenghi“ einen verdienten Refrain verpasst. Die bekannteste Stimme dürfte hingegen Jorja Smith sein, die das balladige „Loose ends“ unterstützt.

Was sind die Highlights?

Immer wieder, wenn das begleitende Piano, der unermüdlich rappende Loyle Carner und ein echtes Schlagzeug für einen unschlagbaren Beat sorgen. Vor allem angesprochenes „Loose ends“ zeigt dies eindrucksvoll: Nach dem markanten Gesangsauftakt groovt sich Loyle Carner langsam ein, immer noch nur von Klavier und Bass begleitet. Genau im richtigen Moment steigt hier jedoch ein simpler Drumbeat ein und kreiert einen einzigartigen Flow, der schließlich den erneuten Refrain in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lässt. Auch „Ottolenghi“ lebt von einer fantastischen Piano- und Bass-Begleitung, die erst nach einigen Versen in einen großartigen beat verpackt wird. Es ist eigentlich so simpel – aber absolut genial.

Wann sollte ich die Platte auflegen?

Feiertag oder ein anderer unverhoffter Tag Freizeit? Der perfekte Moment für ein ausuferndes Frühstück, dass sich nicht aufgrund des üppigen Kühlschrankinhalts in die Länge zieht, sondern aufgrund der besonderen Stimmung, die „Not waving, but drowning“ in jener Situation verbreitet. Da schüttet man sich doch mal die vierte Tasse Tee ein, rutscht immer tiefer ins abgeranzte Sofa auf dem Balkon und lässt sich von der melancholisch-angenehmen Atmosphäre der Platte in den Bann ziehen. Zwischendurch verpasst man so auch mal eine Minute, in der Loyle Carner bedächtig über entspannte Beats textet, lässt sich aber nur Sekunden später wieder von der wohligen Stimmung auffangen.

Lasst euch davontreiben!

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