MADONNA? Wirklich?
Ja – und das ohne Scham oder Guilty-Pleasure-Gefühl. Zu Unrecht hat die „Queen of Pop“ ein etwas angeschlagenes Image in der heutigen Zeit. Sicher sind ihre eher mäßigen Werke des letzten Jahrzehnts und das Auftreten in Klatsch-Blättern daran nicht ganz Unschuld. Die 58-Jährige ist im Beliebtheits- und Akzeptanz-Rating somit ordentlich abgerutscht – vielleicht läuft hin und wieder noch „Like a virgin“ auf einer Trash-Party. Fakt ist aber, dass Madonna Ende der Neunziger und zu Anfang des neuen Jahrtausends drei mindestens gute und ein großartiges Album produziert haben. Bei letzterem ist die Rede von „Ray of light“. Die Platte aus 1998 kann sich nämlich zurecht damit schmücken, die Musikgeschichte geändert zu haben.
Was kann denn nun ausgerechnet „Ray of light“?
Die Platte ist Madonnas künstlerisches und experimentellstes Werk. Kennt man die „Queen of Pop“ doch heute eher dank ihrer zu-Tode-produzierten, eingängigen Radiohits, bietet „Ray of light“ das Gegenstück. Klar, unter den 13 Songs sind auch große Hits dabei. Man denke an das legendäre „Frozen“ oder die wunderbare Ballade „The power of good-bye“. Doch auch diese beiden Singles mit Welterfolg zeigten damals und auch heute ein ungewohntes Bild der Amerikanerin: düster, melancholisch, ernst. Diese Attribute bezeichnen das gesamte Album ausgezeichnet – mit Ausnahme des zügigen, eingängigen Titeltracks. Über eine Stunde schwebt Madonna mit „Ray of light“ durch sphärische Klänge, gedrückte Rhythmen und hektische Elektro-Drums: Eine sensationelle Soundlandschaft, derer sich die „Queen of Pop“ im Anschluss an das Album nie vollständig wieder annäherte. Durchstöbert man das Internet, sind sich Kritiker und Fans einig: „Ray of light“ ist Madonnas Meisterwerk.
Inwiefern ist das Album revolutionär?
„Ray of light“ hat den im Untergrund der 90er aufkommenden Elektro salonfähig gemacht. Das muss man sich ungefähr so vorstellen: Musikstile wie Techno werden in diesem Jahrzehnt immer populärer und finden vermehrt den Weg in alternative Schuppen. Im Radio läuft das Ganze aber natürlich nicht. Nun kommt der große Weltstar Madonna und versieht Songs wie „Nothing really matters“ oder „Sky fits heaven“ mit Techno-Beats und produziert ein ganzes Album voller Elektroanleihen. Da erklingt in „Swim“ ein TripHop-Schlagzeug und „To have and not to hold“ schwebt in Ambient-Ebenen. Madonna bringt diese alternativen Genres mit „Ray of light“ mitten in den Mainstream – aber wie? Zu Beginn der Schreibarbeiten klangen ihre Songs noch wie Nachfolger ihres vorigen Werks „Bedtime stories“. Die Amerikanerin will sich aber nicht wiederholen und wird so mit dem englischen Elektro-Musiker William Orbit verbunden. Ein Segen für die Welt. Zusammen gehen die beiden durch dick und dünn. Orbit produziert das gesamte Album, obwohl auch Madonna selbst im Studio eifrig dabei ist. Diese Zusammenarbeit führt schließlich dazu, dass die „Queen of Pop“ im Nachhinein ihr Meisterwerk nicht als eigenes Album sondern als gemeinsames Werk von Orbit und ihr bezeichnet.
Was sind die großen Momente auf „Ray of light“?
Es herrscht wohl Einigkeit, wenn man salopp sagt, dass die Gesamtstimmung von „Ray of light“ das große Highlight ist. Ist so. Nichtsdestotrotz stechen einige Songs hinaus. Das zuckersüße, emotionale „The power of good-bye“ und das monumentale, berührende „Frozen“ (für mich ihr größter Hit) erhalten exakt die Anerkennung, die sie auch verdienen. Zwei große Kracher. Auch der ungewöhnliche, weil schleppende Opener „Drowned world/Substitute for love“ wurde von Madonna zurecht zur Confessions-Tour wieder ausgegraben. In der Album-Version tropft der Track mit seinem trockenen TripHop-Beat voran. In andere Welten versetzen das sanft klirrende „To have and not to hold“ und das über 6-Minuten-lange „Skin“, welches wohl auch die letzten Genre-Grenzen sprengt. Nach elektronischen Anfangs-Spielereien treibt ein glasklarer Technobeat voran, ehe tiefe und weite Analog-Pads einen bedrohlichen und doch befriedigenden Refrain freisetzen. Definitiv Madonna’s vergessenes Meisterstück.
Was muss ich wissen, um meine Freunde beeindrucken zu können?
Im Anschluss an den Release ging Madonna ausschließlich auf Promo-Tour, eine einzelne Konzertreise gab es zu „Ray of light“ bedauerlicherweise nicht. So wurde „The power of good-bye“ beispielsweise nur bei Top of the Pops, den MTV Music Awards und TF1 in Frankreich dargeboten und das schöne „Little star“ bei der „Oprah Winfrey Show“. Einigen Songs wie „Skin“ wurden sogar komplett die Live-Versionen verwehrt – dafür gab es während ihrer Drowned World Tour 2001 Ausschnitte des Albums zu hören. Auf der Tour, die offiziell „Ray of light“ und den Nachfolger „Music“ auf die Bühne bringen sollte, wurde insgesamt sechs Songs von „Ray of light“ gespielt. Highlights sind dabei „Frozen“ und das spektakulär performte „Sky fits heaven“, das über die Nicht-Existenz einer Live-Version von „Skin“ hinwegtrösten dürfte.
Wann sollte ich „Ray of light“ auflegen?
An diesen regnerischen Tagen, an denen es einfach nicht hell werden will und der Blick aus dem Fenster einfach nur ernüchternd ist. „Ray of light“ bietet für diese und andere Momente der Verzweiflung den besten Soundtrack für den Übergang in andere, ferne Welten. Seien es die treibenden Stücke im Mittelteil oder der äußerst sanfte Beginn-Ende-Rahmen: Hier lädt alles zum Träumen und Mitsummen ein. Auch zum Tanzen kann sich „Ray of light“ eignen – hierbei muss aber genau der richtige Moment zwischen Melancholie und In-der-Musik-sein gefunden werden. Wie dem auch sei: Ein derart großes Album funktioniert fast immer!
Ihr wollt auch überwältigt werden? Dann hört euch entweder durch das gesamte Album (oben) oder entdeckt das wunderbare „Skin“ im that new music mix (rechts und unten auf der Seite).