Nada Surf in La Rochelle (Let Go Anniversary Tour)

Mensch, was haben die Bock zu spielen. Nada Surf verzichten nach ihrem 2016er-Album auf eine Konzertpause und ziehen als Zelebration des 15. Geburtstages ihres Meisterstückes „Let go“ durch die Welt. Eine der ersten Shows führt die Indie-Pop-Pioniere an die französische Küste. Dort beweisen Matthew, Daniel und Co., dass diese Tour eine ganz fantastische Idee war.

Support-Act:

Findet auf dieser Konzertreihe nicht statt. Nada Surf verzichten auf langweilige Vorbands – und supporten sich einfach selber. Im Voraus kündigte die Band an, dass sie zwei Sets spielen werde. Zunächst soll das gefeierte „Let go“ in voller Länge performt werden, ehe das Quartett die Bühne verlässt, und später zu einem „Best-of Set“ wieder auftaucht. Spannendes Konzept.

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Venue:

Muss an dieser Stelle aufgrund des nächsten Punktes leider kurz erwähnt werden. So schön die zwei Säle der La Sirène auch sind, so sehr verursacht der Konzertclub in La Rochelle zunächst doppelte, persönliche Ärgernis. Dass der charmante Opener „Blizzard of ’77“ aufgrund eines langwierigen Einlasses von sicher hundert Leuten verpasst wird – ok. Dass die gut 1000-Leute-fassende Location aber keine Gedanken eine Garderobe oder Ablageflächen verschwendet, ist ein bisschen unglücklich. Da bleibt nur noch die Wahl zwischen einem Abend im Wintermantel oder der Jacke auf dem Boden. Beides ein wenig bieder und nicht so wirklich befreiend. Aber egal. Darum geht’s nicht. Plädoyer beendet.

Dramaturgie:

Dass ein Konzert und eine Platte dramaturgisch nicht ansatzweise ähnlich aufgebaut sind, zeigen die ersten Minuten der Show. Auf den flotten Sommerhit „The way you wear your head“ folgen auf „Let go“ – und damit auch live – nämlich die beiden extrem bekannten, ruhigeren „Blonde on blonde“ und „Inside of love“. Normalerweise zu einem späteren Moment im Set gespielt, wirken die Klassiker hier ungewohnt und deutlich weniger intensiv. Dafür geht es danach so richtig los. Die dynamischere zweite Hälfte von „Let go“ zeigt die zahlreichen Facetten, in denen Matthew Caws und Co. ihren Indie-Pop verhüllen. Nach einer guten Stunde ist Pinkelpause angesagt. Schwups, Drink geholt und kurz darüber diskutiert, wie lange wohl das zweite Set der New Yorker wohl sein wird und schon stehen die vier „Happy kids“ wieder auf der Bühne. Mit „Imaginary friends“ und „Teenage dreams“ brettern Nada Surf hier richtig los und eröffnen einen 19-Tracks-langen (!) zweiten Akt. Von „High/low“ bis „You know who you are“ wird jede Platte und jede Periode berücksichtigt. Ein abwechslungsreiches Spektakel.

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SpecialFX:

Auch wenn Nada Surf seit eh und je nicht für zappelig-eskalative Bühnenbewegungen bekannt sind, lohnt sich stets der Blick nach vorne. Während Gitarrist Doug nur äußerst selten mit seinem Anschlag weit ausholt, suhlt sich Bassist Daniel im Scheinwerferlicht – kettenrauchend und mit seinem charismatischen Rastas. Gemeinsam mit den classy-gekleideten Matthew und Ira ergibt dies ein wunderschönes Bild, welches durch die dezent eingesetzten, aber doch aufwendigen Lichter perfektioniert wird. Zumeist erstrahlen die vier Protagonisten in warmen Farben – zu dunklen Tracks wie „The fox“ wird es kühler. Stimmungsvoll blitzen außerdem an einigen Stellen die Strobos, die den schnelleren Songs wie „Hi-speed soul“ noch mehr Würze geben.

Ansagen:

Sind zur Abwechslung mal glaubwürdig, nicht vollkommen unnötig, und – zur Überraschung vieler – auf französisch. Bereits nach zwei Songs erzählen Matthew und Daniel in fast perfektem Französisch die erste, spannende Geschichte. Es sollen noch viele weitere folgen. Wo die beiden Freunde die Sprache gelernt haben? Im französischen Gymnasium in New York, erklärt Matthew nach einigen Stücken. Bezüglich der Sprachanteile finden Nada Surf die perfekte Balance. Mal werden drei Tracks durchgespielt, mal längere und ausführlichere Hintergründe erläutert. So lernt der unerfahrene Hörer, dass in den Uptempo-Songs extrem ernste Themen verarbeitet werden. Während des Abends hauen die intelligenten Musiker gleich mehrere Plädoyers raus. Für den Klimaschutz vor „No snow on the mountain“, für das Verfolgen naiver Träume („Teenage dreams“) und gegen Medienmanipulation vor „The fox“ (ein zehn Jahre alter Track über Fox News). Die Flüchtlingssituation und #metoo werden auch thematisiert – nie wirken die Ansagen dabei aufgesetzt, unecht oder überflüssig.

Sound:

Nah dran an der Perfektion. Matthew’s Stimme steht prägnant und klar über den Instrumenten, die mit sehr kraftvoll rüberkommen. Insbesondere im Let-go-Set klingen Nada Surf häufig astrein wie im dynamischen „Kilian’s red“. Vor allem das Schlagzeug wird dabei von einem prägnanten Hall unterstützt, der einen fantastischen Druck erzeugt. Drummer Ira Elliott ist sich dem bewusst und trommelt sich mehrmals mit Solos und Fills in den Vordergrund.

Momente des Abends:

Nada Surf erstrahlen vor allem in den extremen Momenten. In den besonders dynamischen Tracks wie dem starken „Happy kid“ oder dem auflockernden „Hi-speed soul“ liegen dabei die größten Unterschiede im Vergleich zur Studioversion. Beide Tracks sind live härter und reißen vor allem aufgrund der drückenden Rhythmusabteilung extrem mit. Ähnlich ist es beim ältesten Stück des Abends, „Dispossession“, welches mit seinem Stakkato-Rhythmus extrem intensiv daherkommt. Gänsehaut gibt es schließlich bei den jeweiligen Set-Closern, welche ihr Hymnenpotential darlegen. Das fabelhafte „Paper boats“ überzeugt mit einer reinen Schönheit und sorgt für innerliches Seufzen im Saal. „See these bones“ wandelt sich nach dem melancholischen Beginn zu einer wahren Punk-Rock-Hymne. Wunderschön.

Und sonst so?

Als Zugabenset spielen Nada Surf die großen, verbliebenen Hits. Zu „Popular“, „Always love“ und „Blankes year“ gehen überraschend viele Smartphones in die Höhe. Lange nicht gesehen. Gleichzeitig rasten einige Mitt-Dreißiger so richtig aus. Schon irgendwie auch ein witziges Publikum, welches Nada Surf mit derartiger Musik anziehen. Schön zu sehen, dass die Venue trotz des undankbaren Sonntag Abends gut gefüllt ist.

Gut getroffen:

Ein Beitrag geteilt von Damien (@hamtaro) am

Wenn ihr euch auch eine zweieinhalb-stündige Ladung Nada Surf benötigt (und das tut ihr!), dann könnt ihr die hier bekommen.

9.4. München
10.4. Köln
11.4. Berlin
12.4. Hamburg

Und hier könnt ihr euch „Let go“ nochmal anhören. 

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