RADIOHEAD? Wieso hast du die denn ausgegraben?
Ach Radiohead! Für viele Musikfans sind die Engländer wohl die beste Band der Welt – tatsächlich haben sich Thom Yorke und Co. in den letzten Jahren als Spitze des Nerd-Musikbergs agiert. An den definitiv schönen aber auch sehr komplizierten Alben scheiden sich immer noch die Geister. Elektro-Gezirpe, unnatürliche Beats, Thoms nölende Stimme: Kein Wunder, dass da der ein oder andere Radiohead klischeemäßig als Akademiker-Musik abstempelt. Während das letzte Album „A moon shaped pool“ schon wieder eher an frühere Werke erinnert, dürfen sich jetzt alle Old-School-Fans freuen. Das legendäre dritte Album „OK Computer“ wird nämlich zum 20. Bandgeburtstag neu aufgelegt – mit B-Seiten, Raritäten und anderen Schleckereien, die man sonst nur zu Weihnachten bekommt. Für that new music blog der perfekte Moment diesem Meisterwerk Tribut zu zollen.
Welchen Stellenwert hat „OK Computer“ in der Radiohead-Diskographie?
Ohne Scheu kann die Platte von sich behaupten, den Moment auszumachen, in dem Radiohead sich endgültig gefunden haben. Von „OK Computer“ entwickelte sich die Band immer mehr zu dem, was sie heute ist. War das erste Album „Pablo honey“ doch noch ein passables Rock-Album (und „Creep“), ging es auf „The bends“ schon reichlich bergauf. Der Zweitling kann sich damit schmücken eines der unterschätztesten Alternative-Alben der 90er zu sein. Außerdem hat „The bends“ maßgeblich die Weltstars Muse beeinflusst – man höre mal deren Erstling „Showbiz“. Der ganz große Wurf gelang Thom Yorke und seinen Kumpanen dann aber definitiv mit „OK Computer“, welches für mich bis heute unerreicht ist. Ein dunkles Album mit einmaligem Sound, einem starken Konzept und vor allem großartigen Songs. Letzteres geriet auf den folgenden Alben immer mehr in den Hintergrund. Viele Experimente, eine starke Weiterentwicklung und viele schöne Momente haben „Kid A“, „Amnesiac“ und Co. sicher auch – die Klasse von „OK Computer“ erreichen sie aber nicht.
Was sind die großen Momente auf „OK Computer“?
Der alles übertrumpfende Monster-Song ist sicherlich „Paranoid android“ – eine vielschichtige Hymne die vollkommen zurecht regelmäßig hohe Platzierungen in den besten Songs aller Zeiten abstaubt. Natürlich ist die Bridge monumental und der Gitarrenausbruch denkwürdig. Auf diese genialen 6:23 Minuten sollte „OK Computer“ jedoch auch nicht beschränkt werden. Ebenfalls bekannt sind die wunderbaren Balladen „Karma police“ und „No surprises“, die beide Musterbeispiele für tolle Melodieführung und Melancholie in Reinform sind. Zerbrechlich wird es im intimen „Exit music (for a film)“, in dem der Fuzz-Bass-Einsatz zum zweiten Refrain in hoher Wahrscheinlichkeit Gänsehaut auslöst. Generell lebt „OK Computer“ von den klammen, nackten Momenten. Hymnisch wird es dann in „Lucky“, welches sich träge nach vorne schleppt, um dann in einer Melodie-Explosion zu münden. Großes Musik-Kino. Und damit sind die wunderbaren „Let down“ und „Climbing up the walls“ gar nicht genannt. Hiermit jetzt schon.
Was macht das Album mit dem Hörer?
Definitiv ist „OK Computer“ kein Feel-Good-Album oder geschweige denn ein eingängiges und leicht hörbares Werk. Selbst wenn es in jenen Eigenschaften die Nachfolger übertrumpft, hinterlassen viele Songs ein klammes, verzweifeltes Gefühl. Nur selten entdeckt man Sekunden, die Licht und Hoffnung versprühen wie beispielsweise die positiven „No surprises“ und „Let down“. Doch selbst bei jenen Tracks fliegen die Augen suchend durch das Zimmer in der Hoffnung ein paar Taschentücher zu entdecken. „OK Computer“ berührt. Sei es in seiner Verzweiflung, in seiner Melancholie, in seiner Schönheit oder einfach in seinem Sein. Das lässt niemanden kalt!
Was muss ich wissen, um meine Freunde beeindrucken zu können?
Große Teile von „OK Computer“ wurden in einem kleinen Schloss in der britischen Provinz Somerset aufgenommen. Eine Aktion, die der Band offenbar sehr gut tat, bezeichnen sie schließlich das Studio als Laborsituation und die Aufnahmen im Schloss als entspanntes Miteinander von coolen Menschen, die ein Album schreiben. Außerdem haben Radiohead von den außergewöhnlichen Räumlichkeiten profitiert und bestimmte Songs in besonderen Räumen aufgenommen. So entstand „Let down“ zum Beispiel in einer Session in einem Ballsaal. Generell legten Radiohead sehr viel Wert auf die Stimmung der Aufnahmen. Yorke behauptet daher, dass die meisten Gesangsparts „First-Takes“ waren, weil sie eben in jener Situation den gewissen Charme besitzen. Dies zeigt einmal mehr, was York für ein genialer Sänger ist.
Wann sollte ich „OK Computer“ auflegen?
Die Platte ist ein Album für die Nacht und wie jedes Radiohead-Scheibe etwas, dem man sich komplett widmen muss. Die zagen Momente wie in „Exit music (for a film)“ würden unter Leuten gnadenlos verloren gehen, und ein Rocker wie „Electrioneering“ stören. Trotzdem findet man zu „OK Computer“ vergleichsweise schnell einen Zugang, da Radiohead hier noch auf mehr oder weniger konventionelles Songwriting und eine hohe Melodiendichte setzen. So kann man sich in die Platte hineinfallen lassen, bei jedem zweiten Song Gänsehaut auf den Armen entdecken und die Melancholie und Tiefe einfach nur genießen.
Lust bekommen? Die Neuauflage von „OK Computer“ erscheint am 23. Juni 2017. Doch jetzt könnt ihr schon „Lucky“ im aktuellen that new music mix hören!