Kratzender Sprechgesang von Baxter Dury, einen Falsetto-Höhenflug mit WhoMadeWho, unbekümmerte Direktheit von Decibelles und eine Künstlerin namens Eera auf Spuren von PJ Harvey – all das findet ihr im aktuellen Songquartett.
1) Eera – Living (Opener)
Nicht zu temporeiche, etwas geheimnisvolle Gitarrenmusik und weiblicher Gesang. Wie häufig fällt an dieser Stelle – insbesondere bei Solokünstlerinnen – der Name PJ Harvey? Auch wenn oder vielleicht gerade weil die englische Elfe über ihre zahlreichen Werke hinweg mehrfach ihren Stil gewechselt hat, dient sie in dieser musikalischen Richtung immer noch als unantastbare Hauptreferenz. Auch die in England lebende Norwegerin Eera fällt in diese Musikgruppe, macht sich aber mit ihrem Debütalbum „Reflection of youth“ auf besten Wege in die Fußstapfen der nun ja auch schon etwas älteren Polly-Jean zu treten. Über die erste Platte von Eera kann man sogar sagen, dass sie PJs letztem Langspieler „The hope six demolition project“ in Punkto Songwriting und Kreativität in die Ecke drängt. Die junge Künstlerin verfolgt verschiedenste Ansätze, bleibt dabei manchmal ganz still wie in „10,000 voices“, setzt sich in „Beast“ gegenüber vertrackten Beats durch oder produziert mit „I wanna dance“ einen dreckigen Indie-Hit. All diese Ausprägungen vereint hingegen der überzeugende Opener „Living“, den Eera mit einer unaufgeregten Crunch-Gitarre beginnt und innerhalb der ersten Minute zu einem extrem stimmungsvollen Rocksong entwickelt.
2) WhoMadeWho – Dynasty (Video)
Wie viel Zeit sollte sich eine Band zwischen zwei Alben nehmen? Eher die zackige Warhaus- oder Wanda-Variante oder doch das nicht enden wollende Tool-Drama. Drei Jahre? Sechs Jahre? Ab wann muss man sich als Fan in beide Richtungen Sorgen machen? Fakt ist auf jeden Fall, dass als Liebhaber der dänischen Elektro-Helden WhoMadeWho deren letztes Album gefühlt eine Ewigkeit her ist. Ja, okay, doch nur knapp vier Jahre, in denen die drei Herren dazu noch mit ihren Solo-Projekten äußerst produktiv waren. Nach den zwei rasch aufeinanderfolgenden Meisterwerken „Brighter“ (2012) und „Dreams“ (2014) ist aber jegliche Minute Wartezeit eine zu viel. Nach dem ersten Lebenszeichen „I don’t know“ kündigen WhoMadeWho nun ENDLICH ihre bereits sechste Platte „Through the walls“ für den Januar an – als Single gibt es das in „Dreams“-Richtung gehende, träumerische (see?) „Dynasty“. Dass die kreativen Dänen nicht nur musikalische Genies sind, beweisen sie ein Mal mehr mit dem begleitenden Clip, der die begonnene Geschichte des ersten Vorab-Videos von „I don’t know“ weiterführt. Thomas Høffding bewegt sich hier im bekannten Plastik-Outfit durch indische Straßen und versucht das im ersten Teil gesammelte Eis an einen anderen Ort zu bringen. Ob das gelingt?
3) Decibelles – Witchy babes (Hit)
Unvorbereitet und schnörkellos zischt „Witchy babes“ von Beginn los. Wo anderswo ein langes, mehr oder weniger überflüssiges Intro steht, setzen Decibelles direkt mit dem Gesang an. Dieses kleine Detail bietet dabei bereits einen Ausblick auf die weiteren Geschehnisse des neuen Hits der Franzosen. Während die Truppe aus Lyon zu Beginn zum markanten Beat und Post-Punk-Gitarren luftig schwebt, wird es gen Ende dringlicher und intensiver. Die schnelle Bass-Spur bleibt zwar bestehen, die Stimme der Sängerin dringt jedoch in höhere Gefilde und wird von scheppernden Becken und einer weniger zurückhaltenden Gitarre passend begleitet, ehe der Track ähnlich abrupt aufhört, wie er angefangen hat.
4) Baxter Dury – Prince of tears (Ballade)
Was für eine Platte. Von Anfang an dominiert bei Baxter Durys sechstem Album „Prince of tears“ die Faszination. Erst darüber, wie ein derart heterogener Haufen Songs so homogen vertont werden kann. Und schließlich über die unerwartet hohe und durchgängige Qualität der knapp 30 Minuten, mit denen Baxter Dury den vielfältigen Vogel abschießt. In den zehn Tracks der Platte sammelt der Engländer mit dem kratzigen (Sprech-)Gesang unterschiedlichste Beats um sich und vertont sie gemeinsam mit der mitwirkenden Sängerin Madelaine Hart. Als Instrumente dienen dabei ein markanter Bass, ein flüchtiges E-Piano und ein genial-klebriges Streichensemble. Hin und wieder gesellt sich eine Gitarre dazu, mal ganz sanft wie in „Oi“, dann wieder dominant wie im kurzen „Letter bomb“, welches an The Clash erinnert. Ganz famos sind jedoch die Nummern, in denen Baxter Dury das Piano und die Streicher in den Vordergrund spielt und herrliche Duetts mit seiner Kollegin flechtet. So zu sehen im Abschlusstrio, welches mit dem groovenden „August“ beginnt, über das verzweifelnde „Wanna“ sein Schicksal nimmt und mit dem überragenden Titeltrack zuckersüß verpufft. In letzterem lässt Dury bis auf eine kurze Gesangs-Grätsche den intensiv daherkommenden Instrumenten und dem Engelsstimmchen von Madelaine Hart den Vortritt – und macht damit alles richtig. Ein fabelhaftes Ende einer beeindruckenden Platte.
Hört die Tracks auch schön eingebunden im that new music mix.