Sophie Hunger live in Wiesbaden | Konzertbericht

Konzertbericht zu Sophie Hunger in Wiesbaden | Die extrem sympathische und wandelbare Sophie Hunger stellt ihr neues, leicht elektronisches Album „Molecules“ auf Tour vor. So war die in vielerlei Hinsicht überraschende Show im Wiesbadener Schlachthof.

Anlass:

Nach Berlin ist sie gezogen, die gute Sophie Hunger, im ihr neuestes Album „Molecules“ aufzunehmen. Auf diesem hat die Schweizer Künstlerin einige ihrer Fans mit vermehrten elektronischen Einflüssen überrascht. So sehr, dass zwar nicht die gesamte Hörerschaft angetan war, immerhin aber darüber diskutierte. Mir persönlich gefiel „Molecules“ ganz wunderbar, weswegen ein Besuch der zweiten Tourhälfte vorprogrammiert war.

Venue:

Doppelte Überraschung. Zunächst einmal verwundert es, dass Sophie Hunger im Wiesbadener Schlachthof nicht das gemütliche Kesselhaus, in dem sich für gewöhnlich hochwertige Indie-Acts tummeln, bespielt. Stattdessen geht es in die deutlich größer dimensionierte Halle, die (Überraschung Nummer 2) auch außerordentlich gut gefüllt ist. So viele Leute! So ist das eben, wenn man eine über das Internet kennengelernte Künstlerin im Real-Life trifft. Doch das sollte nicht das einzig verwunderte werden.

Dramaturgie:

Mit ihrem charmanten Spoken-Word-Song „I opened a bar“ eröffnen Sophie Hunger und ihre drei Mitmusiker gemächlich den Abend, der im Folgenden in jeglicher Hinsicht abwechslungsreich gestaltet wird. Das Quartett spielt sich durch neue, alte und unveröffentlichte Songs, flotte und langsame sowie deutsche, englische und französische. Hop Schwiiz! Hinten raus wird die Setlist nicht signifikant dynamischer, wenngleich durch den leicht erhöhten Groove die Intensität steigt. Von „Molecules“ überzeugt das Trio aus „Tricks“, „There is still pain left“ und „Coucou“ – von den älteren Stücken sticht das in der Zugabe gespielte „Love’s not the answer“ sowie natürlich „Le vent nous portera“ heraus. Nach insgesamt fünf Zugaben und mehr als beachtlichen 110 Minuten nimmt die Show mit dem versöhnlichen „Train people“ ein spätes Ende.

SpecialFX:

Während am Ende der tiefen Bühne kleine Kreise die im Album benannten Moleküle darstellen, ist der vordere Teil der Stage den Instrumenten gewidmet. Insbesondere Keyboards tummeln sich hier und werden von den Top-Musikern in akribisch guter Arbeit gespielt. Die geschlechtermäßig ausgeglichene Band besteht neben der Gitarre und Klavier spielenden Sophie Hunger aus einen französischen Mo-Salah-Lookalike – der in besonderen Momenten auch das Flügelhorn spielt – sowie einem Schweizer Kollegen und einer Kollegin an Drums respektive Keys/Bass. Das Licht bleibt meistens sanft, leistet sich aber den ein oder anderen Überraschungsmoment wie im schön in die Länge gezogenen „Tricks“. Trotz der ausgebildeten Musiker und der geordneten Show wird es nicht klinisch, was im Großen und Ganzen am emotionalen Gesang von Sophie liegt, die auch gerne mal die Albumversion stimmlich abändert. Das wundertolle „Sliver Lane“ beginnt zum Beispiel erst in tiefer Stimmlage, ehe Sophie inmitten der ersten Strophe ins Hohe übergeht. Kleinigkeit aber sympathisch und real!

Publikum:

In einem Wort: Verwunderlich. Eigentlich könnte ein ganzer Artikel rein über die anwesenden Personen verfasst werden, aber hier die Kurzfassung. Die Konzertgänger im Wiesbadener Schlachthof sind an diesem Abend in unerwartet fortgeschrittenem Alter. Absolutes Kontrastprogramm zur letztwöchigen Leoniden-Show – hier ist die präsenteste Zielgruppe 45-60 Jahre. Was an sich ja nicht nur kein Problem sondern wunderschön ist. Dass die größte Bewegung der Anwesenden jedoch das (immer begeistert klingende) In-die-Hände-Klatschen ist, lässt eine kollektiv etwas bedröppelte Atmosphäre entstehen. Klar ist Sophie Hungers Musik nicht die tanzbarste – probiert mal auf „I opened a bar“ zu tanzen. Aber im Saal ist es doch dunkel wie nichts und alle richten ihre Köpfe wie blöd nach vorne. Da sind Bewegungen, so unrhythmisch sie auch sein mögen, doch erlaubt, ihr Lieben. Hach, Mensch! Hier und da zuckt mal ein Körper, aber das angewurzelte Stehen ist klar und deutlich in der Überzahl. Schade für alle. Außerdem ist das doch unglaublich schmerzhaft, oder?

Moment des Abends:

Wirklich besonders ist die Tatsache, dass Sophie Hunger neben den neuen Songs der „Molecules“-Platte auch komplett unveröffentlichte Nummern spielt, die erst wenige Wochen alt sind. Sieht man auch nur noch selten heutzutage. Insbesondere ein Track aus der Zugabe sowie das sehr früh kommende „Halluzinationen“ mit seinen vielen groovigen Ecken und Kanten hinterlassen einen unglaublich guten Eindruck.

Und sonst so?

Ein Kollege hat vor Beginn offenbar nicht nur ein Problem mit Körperkontakt, der in einer Menschenmasse ja mal passieren kann, sondern auch mit dem physischen Eintritt in die sich 50cm um ihn befindende Luft. Mit einem tödlichen Blick und wilder Gestik verschafft sich der wie ein unausgeglichener Tatort-Kommissar dreinblickende Herr noch mehr Platz. Sehr angenehm. Eine Weinschorle mehr und es hätte sprachlich gekracht. Selbst das schöne Konzert konnte die dreckige Laune des Kollegen wohl nicht retten – nach 45 Minuten zieht er Leine. Sachen gibt’s. Ansonsten ist das Publikum, über das ich mich vor zwei Absätzen noch so empört ausgelassen haben ja irgendwie doch auch ganz schnuckelig.

Gut getroffen:

Ob ihr bei anderen Konzerten wohl denselben Eindruck bekommt? Findet es hier heraus.

18.02. Düsseldorf – Zakk
19.02. Saarbrücken – Garage
21.02. Münster – Skaters Palace
23.02. Rostock – Mau Club
22.03. Berlin – Tempodrom

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