Was geeeeeht bei Maarten Devoldere? Die rotzige Stimme von Balthazar scheint vor musikalischer Kreativität nur zu sprudeln. Nachdem der Belgier erst im letzten Jahr das Debüt seines Nebenprojektes Warhaus veröffentlicht hatte, kam gut 12 Monate später bereits die nächste Platte. Auch auf dem selbstbetitelten „Warhaus“ zelebriert der Blondschopf seinen dunklen Knister-Pop inmitten Gainsbourg, Cohen und Cave auf absolut grandiose Art und Weise. Ein Grund für diese Produktivität? Maartens Muse und Partnerin Sylvie Kreusch, die auf den Alben mit ihrer gehauchten Stimme den Kratz-Bariton vorzüglich kontrastiert. Im Konzertherbst bringen die Belgier ihre zweite Scheibe selbstverständlich auch auf die Bühne – unter anderem im französischen Küstenstädtchen La Rochelle.
Gut getroffen:
Rahmenbedingungen:
Sonntag Abend. Der perfekte Moment, um das Wochenende mit einem Gläschen Rotwein und Warhaus ausklingen zu lassen. Bevor dies aber geschehen kann, muss zunächst die Hürde namens Timing übersprungen werden. Die La Sirène – das Konzertzentrum in La Rochelle – ist nicht nur gut 20 Minuten außerhalb der Stadtmitte. Die Show ist außerdem mit 18:00 und einem geplanten Ende um 21:15 äußerst früh angesetzt. Aber man will ja Montag auch topfit sein. Etwas zähneknirschend geht es somit äußerst früh los – und der schnuckelige 400er-Club ist auch zur Essenszeit zwischen 18 und 19 Uhr bereits gut gefüllt.
Support-Act:
Los geht es aber erstmal mit Lenparrot, der sich seinen Platz in diesem Artikel in erster Linie durch die Länge seiner Show erschlichen hat. Der Solokünstler aus dem nicht allzu weit entfernten Nantes spielt ganze 45 Minuten und kann musikalisch dabei weitgehend überzeugen. Seinen weirden Art-Pop bietet Lenparrot auch alles andere als schüchtern dar, der sympathische Franzose lässt aber leider Abwechslung und insbesondere eine durchdachte Dramaturgie vermissen. Ein Gläschen Wein später macht er letztlich Platz für die Protagonisten des Abends.
Überraschung:
Noch vor der Tagesschau beginnen Warhaus mit „Well well“ die Show. Ein kleiner Blick auf die Bühne. Maarten Delvodere im langen Mantel in der Mitte, um ihn herum drei gleichalte Männer, abwechselndbewaffnet mit Gitarren, Xylophon, Keyboard, Bass und Schlagzeug. Alles wunderbar. Aber wo ist die weibliche Stimme Sylvie Kreusch? Jene, die den Sound der Belgier dann doch irgendwie besonders besonders macht? Der Opener vergeht, der zweite Track auch – und spätestens hier schwindet die Hoffung, dass die Sängerin noch dazu kommt. Es bleibt beim Quartett.
Dramaturgie:
Die vier konzentriert dreinblickenden und doch cool aussehenden Männer spielen sich durch eine waschechte Mischung der beiden binnen kürzester Zeit veröffentlichter Alben. Früh kommt das alte Doppel „The good lie“/“Memory“ und das monumentale „Control“. Zu Beginn hakt der Stimmungsaufbau ein wenig an technischen Problemen mit dem Backing-Track. Maarten repariert, seine talentierte Band spielt Aufzugsmusik. Das wundervolle „Love’s a stranger“ und eine Stripped-Down-Version von „Kreusch“ bieten den Mittelteil, ehe die Truppe die Intensität anzieht, um nach „Machinery“ und „I’m not him“ mit dem epischen „Mad world“ zu enden. Hier wird der simple Harmoniewechsel herausgezögert und wirkt dadurch noch intensiver. Der überragende Album-Closer „Falling in love with me“ bietet als einzige Zugabe auch hier nach gut 70 Minuten den harmonischen Abschluss.
Publikum:
Die Masse ist für ein Konzert populärer Musik sicher im höheren Alterssegment anzusiedeln. Nicht wenige Besucher plagen sich tagsüber mit Haarausfall herum, während sie vermutlich in Erinnerung an ihre Jugendhelden Warhaus hören. Die Stimmung ist trotzdem oder gerade deswegen sehr angenehm, auch wenn sich das Publikum zumindest äußerlich wenig begeistern lässt. Der Applaus erinnert eher an eine Jazz-Show und selbst nach etwas intensiveren Gesten von der Bühne bleibt die Skala der äußeren Begeisterung eher in mittleren Bereichen. Passt aber irgendwie zur generell weinseligen Stimmung.
SpecialFX:
Wenngleich die Ausprägungen von Show und Licht eher spartanisch sind, geben die vier Männer musikalisch einiges her. Einiges kommt vom Band, viel wird aber auch gesampelt wie zum Beispiel der epische Bläser-Einsatz in „Control“, der dem Track ein noch viel verstörenderes Gesicht verleiht. Frontmann Maarten überzeugt mit seiner extrem charakteristischen Stimme, die mit viel Reverb fast exakt so erscheint wie auf der Platte. Inmitten von „Here I stand“ zeigen die drei Herren im Hintergrund außerdem ihre imponierenden Fähigkeiten durch Instrumental-Solos. Musikalisch ist das alles top und mit einer Bestnote zu versehen. Auch Sylvie Kreuschs fehlende Stimme wird vom Background-Trio gelungen ersetzt. Und trotzdem fehlt etwas ohne ihre Präsenz. Der Schwarz-Weiß-Kontrast. Das Reiben der Stimmen, welches auch das stark knisternde Erotische von Warhaus erzeugt. All das schreit nach einer bildlichen Umsetzung, einem Spiel auf der Bühne, wie es beispielsweise bei den krachenden Kollegen von July Talk der Fall ist. Anscheinend ist Sylvie Kreisch nur dann Teil der Live-Show, wenn sie gerade Zeit hat – und das scheint nicht sehr häufig zu sein. Schade. So ist es ein bisschen wie Noel Gallagher „Champagne supernova“ singen zu hören: schon verdammt cool, aber ein kleiner Part fehlt.
Moment des Abends:
Hier gibt es trotzdem mehrere zur Auswahl. Einzelne intensive Momente wie der oben beschriebene Posaunen-Einsatz in „Control“ oder das Ende von „Mad world“ stehen dabei neben durchweg überzeugenden Darbietungen. Dazu gehören das luftige „Love’s a stranger“, der friedvolle Breakup-Song „Fall in love with me“ und ganz besonders die außergewöhnliche Performance von „Kreusch“. Den Song über seine Muse singt der Frontmann ironischerweise ganz alleine, nur mit Gitarre. Und trotzdem bohren sich die vollkommene Nacktheit und Maartens großartige Stimme direkt ins Herz.
Und sonst so?
Dass Maarten Devoldere auf irgendeine Art und Weise ein kleiner Narzisst ist, zeigen die Merch-Artikel: Analog zum Album-Cover thront sein verschmitztes Lächeln auch von einem Kopfkissen. Genial.